Newsletter Nr. 9

EFTA-Gerichtshof – Urteil vom 10.03.2020

Am 10.03.2020 hat der EFTA-Gerichtshof sein Urteil zum Vorabentscheidungsersuchen des liechtensteinischen Landgerichts vom 29.03.2019 erlassen. Das Landgericht hat dem EFTA-Gerichtshof eine Reihe von Fragen zur Auslegung der europäischen Richtlinie 2009/138/EG vorgelegt. Das Urteil ist in deutscher und englischer Sprache auf der Webseite des EFTA-Gerichtshofs veröffentlicht (https://eftacourt.int/cases/e-03-19/).

Der EFTA-Gerichtshof hat in seinem Urteil zunächst den Begriff der „Versicherungsforderung“ geklärt. Er hat dazu festgehalten, dass eine Forderung dann als Versicherungsforderung gelte, wenn das versicherte Ereignis während der Gültigkeit des Versicherungsvertrags eingetreten ist. Die Versicherungsforderung müsse also vor der Aufhebung eines Versicherungsvertrages entstanden sein. Es sei Sache des nationalen Rechts, ob als weitere Voraussetzung eine solche Forderung vor der Eröffnung des Liquidationsverfahrens angemeldet oder festgestellt worden sein muss.

Der EFTA-Gerichtshof hat ebenfalls die Frage beantwortet, ob Prämienrückerstattungsforderungen Versicherungsforderungen darstellen. Gemäss seinem Urteil ist dies nur dann der Fall, wenn sich die geforderte Prämienrückerstattung auf einen Versicherungsvertrag beziehen kann, der vor der Eröffnung des Liquidationsverfahrens aufgehoben worden ist. Ist ein Versicherungsvertrag nach der Eröffnung dieses Liquidationsverfahrens aufgehoben worden, stelle die Forderung auf Rückerstattung nicht verdienter Prämien keine Versicherungsforderung dar.

Der EFTA-Gerichtshof hat schliesslich zur Frage der Gleichbehandlung der Versicherungsgläubiger festgestellt, dass die Richtlinie 2009/138/EG dem nationalen Recht offen lasse, ob es zwischen verschiedenen Kategorien von Versicherungsforderungen einen Rangunterschied vorsehen wolle. Dies sei mit der Richtlinie vereinbar, wobei sichergestellt sein müsse, dass Versicherungsforderungen gegenüber allen anderen Forderungen bevorrechtigt behandelt werden. Auch müsse gewährleistet sein, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung von Gläubigern und das Diskriminierungsverbot berücksichtigt werden.

Der EFTA-Gerichtshof hat zum Begriff der „Versicherungsforderungen“ und zur Gleichbehandlung der Versicherungsgläubiger die erwarteten Antworten geliefert. Das liechtensteinische Recht kennt keine Unterteilung der Versicherungsforderungen in Kategorien, sodass die Gläubiger von Versicherungsforderungen gleichbehandelt werden müssen. Damit eine Forderung als Versicherungsforderung behandelt werden kann, muss das versicherte Ereignis während aufrechter Versicherungsvertragsdauer eingetreten sein. Ob zusätzliche Voraussetzungen zu erfüllen sind, kann erst nach Prüfung des individuellen Versicherungsvertrages, der auf ihn anwendbaren Versicherungsbedingungen und des einschlägigen nationalen Rechts beurteilt werden.

Demgegenüber erweist sich die Antwort des EFTA-Gerichtshofs zur Klassifizierung von Prämienrückerstattungsansprüchen für die Masseverwalterin als Überraschung. Sie hat zur Folge, dass fast sämtliche Forderungen auf Rückerstattung nicht verdienter Prämien als Konkursforderungen der vierten Klasse anstatt als Versicherungsforderungen behandelt werden müssen.